Der Fall Anne Wünsche oder der Hass im Netz

Hass im Netz lässt sich immer ein bisschen mehr verachten, wenn wir die Protagonist*innen mögen, wenn sie nett und klug sind, wenn wir gerne so wären wie sie und wir uns in sie hineinversetzen können.

Bei Anne Wünsche ist das für mich nicht der Fall. Sie ist Reality TV-Star, ist berühmt geworden durch die Serie Berlin Tag Nacht. Sie ist ever since Influencerin, sie macht Werbung für Produkte auf Instagram und Tiktok. Sie sagt selber in einem ihrer Videos, dass sie früher auch Werbung für Produkte gemacht hat, die sie selber nicht gut findet – da sei sie heute „ganz ehrlich“. Mit so was macht man sich natürlich keine Freund*innen.

Anne Wünsche verkauft Porzellantassen mit Glitzer bedruckt, ihre Tochter spricht die Werbung dafür ein. Sie nimmt das Handy überall mit hin, auch wenn ihr Baby nicht schlafen kann, sitzt sie mit dem Handy daneben.

Sie hat Fragen, die wahrscheinlich alle Eltern haben, aber sie fragt sie eben vor der Kamera. Wie sie mit ihrem kleinen Baby in die Türkei reisen kann. Ob sie dafür einen Buggy kaufen soll, obwohl das Baby noch zu klein für so einen Kinderwagen ist. Ihre drei Kinder haben drei verschiedene Väter. Sie hat mal ein Kind abgetrieben. Das weiß jeder'*r. Und wenn nicht - unter jedem Post ist mindestens ein Kommentar, der dir Anne Wünsches bisheriges Leben erklärt. Verachtend über sie redend.

In den Kommentaren sprechen Follower*innen (man kann bei ihr nur kommentieren, wenn man ihr folgt) ihr jegliche Kompetenz ab.

Wie man mit Kindern umgeht zum Beispiel. Warum das Baby nicht schlafen kann sei ebenso klar, wie dass ihre älteste Tochter traumatisiert sei.

Anne Wünsche habe keinen richtigen Job, sie solle mal arbeiten gehen. Ihre Produkte (die Glitzer-Keramiktassen) seien Scheiß-Qualität und überteuert. Das wird geschrieben, ohne je eine Tasse gekauft zu haben. Das gibt die Person zu, die kommentiert. Das sehe man doch an den Bildern! Andere Followerinnen, die sich solch ein Produkt schon einmal gekauft haben, werden ebenfalls beschimpft und als „dumm“ bezeichnet.

Es ranken sich Hasstiraden unter fast allen Posts. Es ist kaum durchzuhalten, alles zu lesen. Es macht mir Kopfschmerzen.

Anne Wünsche hat sie auch mal veröffentlicht, ein paar der Hate-Kommentare. In einem Post hat sie 5 Nachrichten abfotografiert, in denen gewaltvolle Drohungen bis zu Sexphantasien der erniedrigsten Art stehen. Das machte mir noch mehr Kopfschmerzen.

Der Post über die Hassnachrichten ist eine Ausnahme. Die anderen Posts sind Tanzvideos, in denen steht „Wenn man etwas richtig gut kann, dann sollte man Geld dafür nehmen. Ok. Man kann mich jetzt buchen für Eifersüchtig sein und rummotzen.“ In mehreren Videos macht sie peinliche Situationen nach, in denen jemand furzt.

Kurz gesagt: Es ist nicht so, als würde Anne Wünsche ihre Reichweite für etwas einsetzen, was politisch, kulturell, sozial oder sonst was hochwertig ist.

In einem anderen Post zeigt sie den Stinkefinger und sagt „lass sie reden“ und meint damit ihre Hater. Ihr Umgang mit dem Hass, der ihr entgegen kommt, ist nicht differenziert, nicht intelligent, nicht klug – all das würde man sich so sehr für sie wünschen, aber ihre Reaktion ist - und jetzt kommt mein ungefragter Kommentar zu ihrem Umgang mit Hate: unreflektiert.

Man wünscht sich das ganz egoistisch. Dass es anders wäre. Man wünscht sich das, weil man selbst sich dann nicht den Kopf darüber zerbrechen müsste, was an dem ganzen Bild nicht stimmt.

Warum diese Hassnachrichten so brutal, so vernichtend sind – niemand kann mit solchen Nachrichten umgehen, auch nicht wenn und indem man einen Stinkefinger zeigt. Niemand sollte solche Nachrichten bekommen.

Aber Anne Wünsche macht das nicht – sie sagt oft, es nimmt sie mit, diese Nachrichten zu bekommen, es macht sie fertig – um dann wieder ein Video zu posten, in dem sie versehentlich furzt. Mich bringt etwas durcheinander an ihrer bunten Welt der Glitzer-Tassen und Einhörner, der Kinder-Videos und unzusammenhängenden Werbenachrichten dazwischen (Probiere doch einfach mal diese Emma-Matratze aus. Schau mal auf die Seite, vielleicht ist ja etwas für dich dabei).

Ich würde ihr gerne schreiben. Wer bin ich, ihr etwas schreiben zu wollen? Ich könnte ihr schreiben und sie aufmuntern, sagen, dass niemand auf der Welt solche Nachrichten verdient hat. Egal für was.

Und dann mache ich mir Gedanken, die niemanden etwas angehen. Ich frage mich, was ich machen würde. Ich würde den Account schließen, sofort. Wenn mehrere solche Kommentare unter einem Post von mir stehen würden – ich würde keine Sekunde überlegen. Ich würde denken: Dann war es das. Dann eben nicht.

Aber wenn ich etwas zu sagen hätte, wenn ich meinen Kanal nutzen würde für eine Sache, die mir so wichtig ist, wie fast nichts auf dieser Welt - dann würde ich vielleicht doch weitermachen. Und wenn ich genug Unterstützung bekommen würde.

Wenn ich mich einsetzen würde gegen Bad Banks. Und es kommen Hate-Kommentare, die auch persönlich sind. Aber da wären einfach genug Menschen, die die Sache ähnlich sehen wie ich - dann würde ich weitermachen. Oder?

Und wenn das einfach mein Leben wäre? Auf Social Media zu posten?

Und wenn mein Leben finanziell davon abhängen würde?

 

Jeder Mensch kann sich frei entscheiden, welchen Job er'*sie machen möchte. Niemand sollte gezwungen werden, einen Job zu machen, der nicht in das eigene Weltbild, die eigene Verfassung, körperliche Gesundheit etc passt. Menschen zu sagen, sie könnten ja einfach einen anderen Job machen - nicht hilfreich. Und auch nicht richtig.

Es ist (oft ein großer) Teil unseres Lebens, was wir arbeiten und womit wir Geld verdienen. Daher sind Kommentare zu Anne Wünsche, sie könnte ja Brötchen verkaufen anstatt auf Instagram zu sein, schlicht nicht richtig. Könnte sie - wenn sie es wollte.

Und anscheinend arbeitet sie immer noch lieber unter den Tausenden von fürchterlichen Kommentaren als in der Bäckerei. Non of my/ non of our Business.

Und Menschen müssen nicht etwas zu sagen haben oder sich für bestimmte Dinge einsetzen - warum erwarte ich das?

“Die Würde des Menschen ist unantastbar” hat kein aber. Aber sie nicht - weil... Und das ist so ein großes Problem bei Social Media - so viele Menschen versuchen einzuordnen, zu beurteilen. Das hat sie gut gemacht. Das nicht.

Das ist nicht ihr Job.
Wir lesen die Werbezeitung und regen uns darüber auf, dass die Informationen nicht so wie in der “Zeit” sind. Obwohl wir uns bewusst entscheiden haben, nicht die Zeit zu lesen.

Wir stellen Ansprüche an Leute, geben ihnen ungefragte Ratschläge und sind enttäuscht von ihnen.

Ich schreibe: Dass es mir leichter fallen würde, Hass zu verurteilen, wenn ich die Person netter finden würde. Wenn sie sich für etwas einsetzt, was für mich Wert hat. Und ich schreibe damit nur von mir.

Hass im Netz ist daher so leicht - ich kann all das rauslassen, was ich gerade nicht mag, was ich empfinde, was ich denke.

Und das muss absolut nichts mit der anderen Person zu tun haben. Aber es sieht so aus als hätte es das - weil ich mich zu Anfang des Kommentars auf ihre Fingernägel beziehe. Aber dann entlade ich mich mit all meinem Shit: Was ich denke über Kindererziehung, was meine Erfahrungen sind, was ich denke, meine Gewaltphantasien etc.

Ich sende. Non stop.

Mir ist es egal, ob die andere Person darauf reagiert. Wenn andere Kommentator*innen meiner Meinung sind - umso besser. Aber ich mache das für mich, damit ich mich besser fühle. (Und ich fühle mich besser, wenn andere mit zustimmen, ja.)

Ich verliere die andere Person aus dem Auge, sie ist nur noch ein Spiegel meines eigenen Hasses. Aber was ankommt, ist sehr persönlich, ist sehr viel Hass, ist sehr verletzend.

Letztens meinte ein Freund von mir: “Ich hätte mir gewünscht, du hättest mir gesagt, dass ich das gut gemacht habe.” Und dann wählte er sehr genau seine Worte und schilderte mir explizit, was er sich wie genau von mir gewünscht hätte, mit sehr konkreten Worten, wie ich es hätte sagen sollen. Ich meinte zu ihm, dass er mit sich selbst eine Wunsch-Situation kreiert habe - die aber nichts mit mir zu tun hätte.

Natürlich kann er mir sagen, dass er von einer Situation enttäuscht ist, er sich etwas anderes vorgestellt hatte - aber diese sehr konkreten Regie-Anweisungen, was er sich stattdessen von mir gewünscht hätte - die hatten nichts mit mir zu tun und spiegelten nicht meine Worte bzw ich habe mich in diesen Worten überhaupt nicht wiedererkannt. Das waren keine Worte, die ich benutzen würde. Ihm fiel das natürlich nicht auf. Es war sein persönliches Theaterstück, in dem er sich wohlfühlte.

Und ich hatte etwas falsch gemacht.

Das hat mich sehr an Social Media erinnert.

Was ich denke, was sie hätte posten sollen.

Ich hätte es besser gefunden, wenn…

Ich gucke gar nicht mehr konkret hin- ich sage lieber direkt, was ich denke.

Ich finde das ist eines der Probleme, das Social Media offen legt. Ich tue so, als würde ich mich mit anderen beschäftigen - aber ich beschäftige mich nur mit mir.

Und damit ist dieser Text am Ende ein Text über mich - und nicht über Anne Wünsche.

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