Roe vs. Wade

Einen Text über ein Thema mit dieser Reichweite zu schreiben bedeutet, einen Text über alles zu schreiben. Es ist egal, wo wir anfangen - wir werden zum Ende wieder an den Anfang zurückkehren. Das Private ist politisch - es handelt sich bei der Anfeindung von Frauen und bei den Schuldzuweisungen von ungewollt Schwangeren nicht um Einzelgeschichten und private Geschichten.

Roe vs. Wade

Am 24. Juni 2022 ist in den USA etwas passiert, das man mit Sicherheit nicht in das 21. Jahrhundert packen würde: Abtreibung ist in vielen Staaten der USA nun wieder illegal. Roe vs. Wade, eine Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht, die der Oberste Gerichtshof 1973 fällte, wurde gekippt. Seitdem dürfen die einzelnen Bundesstaaten der USA entscheiden, ob Abtreibung erlaubt ist oder nicht.

Ein riesiger Rückschritt, wenn wir auf die Rechte von Frauen schauen. Und ein Rückschritt für gleichberechtigte Beziehungen, wenn wir auf die Machtstruktur von hetero-Paaren schauen. Der entstandene Zwang (das Kind zu bekommen oder in einem anderen Staat abtreiben, in dem es erlaubt ist) bringt ungewollte Beeinflussungen des eigenen Lebens und (eine Verstärkung von) Traumata mit sich.

Und diese Beeinflussung ist unabhängig von den Gründen und Geschichten zur ungewollten Schwangerschaft. Egal ob im Falle einer Vergewaltigung oder in einer langjährigen Beziehung.

Genau diese Unterscheidung aber wird viel diskutiert:

Was ist mit Frauen, die vergewaltigt wurden und vom Vergewaltiger schwanger sind? Was ist mit denen, die missbraucht wurden?

Aber diese Unterscheidung ist irrelevant, denn mit dem Recht auf Abtreibung geht es genau darum: Die Möglichkeit zu haben, egal aus welchen Gründen, abtreiben zu können. Wenn wir uns beschränken auf Verbrechen (Vergewaltigung, Missbrauch) nehmen wir nicht wahr, was eigentlich hinter der Möglichkeit der Abtreibung steht: Über den eigenen Körper entscheiden zu können. Und nicht: Über den eigenen Körper entscheiden zu können, WENN….

Dieses WENN ist ein Einwand, der uns eben nicht frei über den eigenen Körper entscheiden lässt. Denn NUR in bestimmten Fällen hat frau dann das Recht, eine Abtreibung zu bekommen.

Das Recht sollte aber uneingeschränkt der Gründe da sein.

Dieses WENN bringt uns auch dazu, zwischen gut und schlecht zu unterscheiden. Zwischen den Frauen, die eine Abtreibung “verdient” haben, weil ihnen eben etwas “passiert” ist, weil sie Opfer eines Verbrechens geworden sind etc. Und andere haben es eben nicht “verdient” - sie sind selber schuld an ihrer Situation oder haben es zumindest nicht verdient, “gerettet” zu werden oder dass man ihnen zuhört.

Puh, ganz schön viele Anführungszeichen. Denn mit den Ausdrücken ist gar nicht oft genug anzumerken, dass sie eigentlich hinterfragt werden müssen. Es muss hinterfragt werden, wenn hier jemand bei einer ungewollten Schwangerschaft von Schuld spricht. Denn wer soll schuld sein - wenn nicht beide Beteiligten? Warum kann ich hier von Schuld schreiben - und es wird nur die schwangere Frau gemeint, aber nicht der Mann, mit dem sie Sex hatte?

Das ist möglich, weil wir dieses Narrativ in unserer Gesellschaft haben und aus unseren Gesprächen kennen. Das Narrativ, das sagt “selbst Schuld”, wenn eine Frau ungewollt schwanger wird, ist dem Narrativ sehr ähnlich von: Selbst schuld, wenn eine Frau einen kurzen Rock anhat und dann angegrapscht wird. Selbst schuld, wenn frau den dunklen Weg nach Hause nimmt und vergewaltigt wird. Selbst schuld wenn frau nett gelächelt hat aus Verzweicflung bei dem Typen, der sie einfach rumkriegen wollte und alles versucht hat - und es letztendlich mit Gewalt dann macht.

Selbst schuld - und da ist die Schuld immer auf der Seite der Frauen. Sie ist NICHT auf der Seite der Menschen, die die Straftat begehen (sie werden bestraft, wenn sie vor Gericht kommen, ja, aber die Schuld-Frage wird den Frauen gestellt - war sie nicht mindestens mit-schuld?)

Es gibt also Abgrenzungen: Wann ist eine Frau Schuld, wann nicht, wenn sie begrapscht, bedrängt, vergewaltigt wird. Die Narrative geht weiter: Frau ist eben auch Schuld, wenn sie ungewollt schwanger ist. Sie hat nicht “aufgepasst”, nicht “nachgedacht”, die “Konsequenzen” nicht gesehen und so fort.

Sie “hätte es doch besser wissen müssen.”

Das erste Mal, als ich dachte, ich sei schwanger, war ich 14. Fünf Monate lang bekam ich meine Mens nicht - in der Zeit bewegte ich mich zwischen Verzweiflung und Verdrängung. In den fünf Monaten habe ich mich niemandem anvertraut, nicht einmal meinen besten Freundinnen. Mit meinem Freund machte ich Schluss - auch ihm konnte ich mich nicht anvertrauen. Weil ich mich geschämt hatte. Ich habe mich so geschämt.

Wie konnte mir das passieren? Wie konnte mir das passieren, dass ich so jung schwanger sein könnte? Was würde das bedeuten? Ich hatte nicht genug aufgepasst, ich hatte mich nicht genug gekümmert - solche Gedanken kamen sofort.

Ich kaufte keinen Schwangerschaftstest (zu viel Angst, meine Eltern könnten ihn sehen/ finden). Ich ging nicht zu meinem Frauenarzt.

Ich wartete einfach nur und machte mir in der Zeit Vorwürfe.

Es war das erste und einzige Mal, dass ich nicht abgetrieben hätte, wenn ich schwanger gewesen wäre.

Momente, in denen ich dachte, ich sei eventuell ungewollt schwanger, gab es danach noch genug. Aber mit Test und immer mit der Möglichkeit in meinem Kopf, abzutreiben.

ROE vs. Wade in Deutschland

De facto ist Abtreibung in Deutschland möglich. Mit oft aber enormem Druck auf den Menschen, die abtreiben, und den Praxen, die Abtreibung anbieten. Denn legal ist Abtreibung auch in Deutschland nicht.

Es ist eine Auslegung des Gesetzestextes, die Abtreibungen in Deutschland überhaupt möglich macht. Die Ärzte*innen, die sie anbieten, werden oft angefeindet (real, per E-Mail, Briefe etc) und müssen trotz der aktuellen Rechtsprechung (nur eine Ärztin wurde bisher in Deutschland schuldig gesprochen) immer wieder auch gerichtliche Auseinandersetzungen für möglich halten und damit leben und arbeiten.

Die Menschen, die abtreiben, trauen sich oft nicht, mit anderen darüber zu sprechen, bekommen oft nicht alle Informationen und müssen die Entscheidung mit sich ausmachen und damit rechnen, dass sie diese Entscheidung nur in bestimmten Gruppen und Kreisen öffentlich machen können.

Es ist ein komisches Verhältnis: In der deutschen Öffentlichkeit wird oft so getan, als sei Abtreibung kein Thema, es ist “quasi” erlaubt. Damit wird dieses Thema zu einem dieser privaten Diskussionen, die nur selten von Betroffenen an die Öffentlichkeit getragen werden. Aus gutem Grund.

Immer noch zu oft wird genau die Diskussion angeführt, die ich oben beschrieben habe: Schuldzuweisungen der Frau gegenüber, wie das denn passieren konnte. Ob sie das denn mit sich vereinbaren könne, abzutreiben, etc.

Es gibt auch hier Narrative des “good Girl”. Der das eben nicht passiert, dass sie ungewollt schwanger wird. Weil sie “alles richtig macht”. Ich habe in der Recherche zu diesem Text auch eine Definition von Good Girl gefunden, die sich darauf bezieht, dass sie eben den “richtigen Partner” hat, jemanden, der aufpasst, auf sie und die Kinderplanung.

Die Bezeichnung “good girl” zeigt schon, dass hier Frauen nicht ernst genommen werden, sie werden erniedrigt, in eine kleinere From gebracht. sie sind ein girl, keine Frau/ Woman.

All diese Narrativen zeigen, was eben als Frau geht. Und was überhaupt nicht.

Das Private ist politisch

Ich wage jetzt einen Blick in eine andere Bubble, die eventuell extrem erscheint. Aber realer ist, als wir vielleicht denken. Es ist eine Bubble, die Frauen hasst. Die das ausdrückt und beschreibt. Und vereinzelt auch aktiv wird. In Hass-Kommentaren im Internet, per E-Mail. Und Frauen in diesen alten Narrativen beschreibt und sie dort hineindrängt.

Diese alten, ausgetretenen Narrative machen den Weg frei in eine Szene, in der darüber geschrieben und diskutiert wird, dass von Frauen Gefahr ausgeht.

Laura Bates hat 2020 das Buch geschrieben “Men who hate Women”. Bates beschreibt Incels und taucht in Männergruppen ein, die oft keinen Kontakt zu Frauen haben. Und deren Hass auf Frauen sehr groß ist.

Eine Masse an sexistischen Kommentaren kennt fast jede Frau, egal ob auf der Straße oder im Netz. Kommentare über Kleidung, Figur, Verhalten. Wir betrachten diese Kritik oft losgelöst von Diskussionen über Schwangerschaftsabbrüche und Abtreibungs-Diskussionen. Das sind sie aber nicht. Die hier beschriebenen Narrativen haben einen großen Anteil daran, dass Diskussionen über Abtreibung immer noch so geführt werden, wie sie geführt werden: Frauenfeindlich. Mit Schuldzuweisungen. Gelablet als privat. Das ist ein privates Problem, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Doch das tut es.

Es ist eben kein privater Kommentar, wenn jemand einem hinterherpfeift. Oder beleidigt. Das ist nicht ein persönliches Problem, was man da hat - sondern ein gesellschaftliches.

 
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